Bildet Berlin! ist ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder und Unterstützer:innen es leid sind, tatenlos zuzusehen wie sich die Qualität der schulischen Bildung in Berlin durch eine mangelhafte Ausstattung der Schulen verschlechtert. Gute Schulbildung ist der Schlüssel für Integration und Arbeit.
Von 2015 bis April 2021 waren wir vom zuständigen Finanzamt als ein gemeinnütziger Verein anerkannt. Mit einer Satzungsänderung hat der Verein im April 2021 die Eigenschaft einer politischen Partei übernommen, weshalb wir die Gemeinnützigkeit aufgeben mussten.
 

Diese Webseite dokumentiert die Tätigkeit von Bildet Berlin! in den Jahren 2012 bis 2020. Aktuelle Informationen finden Sie unter http://bildet-berlin.de .

 

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Baustelle Schule 2017 – Diskussion mit Abgeordneten des AGH

Wir diskutierten mit den bildungspolitischen Sprecherinnen der Fraktionen des Abgeordnetenhauses sowie Vertretern von Schüler*innen und Eltern



Unter dem Motto Baustelle Schule 2017 – Was gibt's neues? luden wir am 23. Februar 2017 interessierte Bürgerinnen und Bürger zu einer Diskussion mit den bildungspolitischen Sprecherinnen der Fraktionen SPD, CDU, LINKE und GRÜNE sowie Vertretern des Landesschülerausschusses (LSA) und des Landeselternausschusses (LEA) über ihre politischen Ziele für die neue Legislaturperiode. Themen waren unter andererem Lehrermangel, Quereinsteiger/innen, Unterrichtsausfall, die Situation angestellter Lehrkräfte und Politik als Schulfach.

Um 18:30 Uhr war die Aula des Dathe-Gymnasiums gut gefüllt und die zwei Moderatoren Robert Rauh und Tamara Adamzik begrüßten Publikum und Gäste und stellten zunächst die Gäste und dann den geplanten Ablauf der Diskussion in vier Runden zu den Themenbereichen Schulqualität, Schulpersonal, Schule 2030 und Politik als Schulfach vor. Vor Beginn der Diskussion hatten wir unser Publikum eingeladen, Fragen an die Abgeordneten auf Kärtchen an Pinnwänden zu sammeln, wovon das Publikum reichlich gebrauch machte. Zu jeder Frage erhielt zunächst eine Vertreterin der in der regierenden Koaltion vertretenen Parteien Gelegenheit auf die Frage zu antworten, anschließend bekamen Frau Bentele von der CDU (FDP und AFD sind unserer Einladung nicht nachgekommen) oder Vertreter der Betroffenengruppen Schüler (LSA) und Eltern (LEA) die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. So entstand eine spannende Diskussion, in der deutlich wurde, dass sich alle Parteien Verbesserungen in der Schulqualität wünschen, die Angemessenheit der in der Vergangenheit gemachten Anstrengungen und aktuell geplanten Verbesserungen aber unterschiedlich werten.

Wir bedanken uns für das Interesse an der Veranstaltung und bei unseren Gästen auf dem Podium!



Viele Bürgerinnen und Bürger sind unserer Einladung gefolgt und nutzten die Gelegenheit, zu erfahren, welche Ziele die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien in der Bildungspolitik verfolgen.


Die Fragen aus dem Publikum wurden von den beiden Moderatoren vorab gesichtet und in der Diskussion gestellt.


Letzte Absprachen der beiden Vorsitzenden von Bildet Berlin! Florian Bublys (links) und Tamara Adamzik (rechts).


Die Moderatoren Robert Rauh und Tamara Adamzik begrüßen die Gäste auf dem Podium und das Publikum.


Die bildungspolitischen Sprecherinnen der CDU, Hildegard Bentele, (links) und der SPD, Maja Lasić, (rechts).


Die bildungspolitischen Sprecherinnen der Grünen, Marianne Burkert-Eulitz, (links) und der Linken (Regina Kittler).


Der Pressesprecher des Landesschülerausschusses (LSA), Franz Kloth, (links) erklärte, welche Wünsche Berlins Schülerinnen und Schülern wichtig sind. Der Vorsitzende des Landeselternausschusses (LEA), Norman Heise, (mitte) erläuterte, in welchen Bereichen die Eltern dringenden Handlungsbedarf für Verbesserungen sehen. Lehrer und Vorsitzender von Bildet Berlin! Florian Bublys (rechts) ergänzte, was die politisch Verantwortlichen aus der Perspektive von Bildet Berlin! tun sollten, um neben der rein zahlenmäßigen Erteilung von Unterricht vor allem auch die Qualität von Unterricht wieder stärker sicherzustellen.


Abschließendes Gruppenfoto mit unseren Gästen auf dem Podium.

Im Folgenden ein Überblick zu den Diskussionsbeiträgen:

Warum soll man als Lehrerin in Berlin bleiben?

Moderator Robert Rauh beschreibt zu Beginn der Diskussion eine durchschnittliche junge Lehrerin in Berlin: „Frau Klingenthal hat im September 2016 ihr Referendariat beendet. Sie ist angestellte Englisch- und Geschichtslehrerin an einer  ISS mit gymnasialer Oberstufe. Sie unterrichtet einen Leistungskurs Englisch und ist Klassenlehrerin einer 7. Klasse, in der auch 5 Kinder mit Förderbedarf Schwerpunkt Lernen sind. Zu Beginn des Schuljahres wurden ihr drei Schulhelfer versprochen. Einen Schulhelfer bekam sie tatsächlich, dieser arbeitet jedoch nur Teilzeit. Im Lehrerzimmer sitzen 120 Kollegen, die sich vier Computerplätze und zwei Kopierer teilen müssen. Sie weiß von Ihrer Referendariatskollegin aus Brandenburg, dass diese dort nicht nur verbeamtet wird, eine Stunde weniger unterrichtet, sondern auch eine »Buschzulage«, weil sie an einem Standort arbeitet, der als unattraktiv gilt. Und von ihrer Freundin aus Baden-Württemberg weiß sie, dass dort die Kollegin einen kleinen Vorbereitungsraum mit vier anderen Lehrern hat, sowie einen Fachraum, d.h., sie muss nicht ständig hin- und herwechseln. Ihr eigener Leistungskurs wird etwa in der Bibliothek unterrichtet. Jetzt überlegt sie zu wechseln nach Brandenburg oder nach Baden-Württemberg. Können Sie dieser Lehrerin Mut machen, in Berlin zu bleiben?“

Als Antwort plädiert die bildungspolitische Sprecherin der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Hildegard Bentele generell für Verbeamtung, Schulneubau, sowie für mehr Arbeitsplätze in Lehrerzimmern. In der weiteren Diskussion wird sie jedoch auch daran erinnert, dass ihre Partei gerade als Teil der Regierung Zeit gehabt hätte, diese Forderungen umzusetzen.

Die bildungspolitische Sprecherin der Partei DIE LINKE, Regina Kittler bestreitet, dass die Lehrer in Massen aus Berlin weggehen. Sie lehnt eine Wiedereinführung der Verbeamtung in dieser Legislaturperiode ab, strebt aber eine Gleichstellung angestellter und verbeamteter KollegInnen in der Grundschule an.

Hinsichtlich der Lehrerausstattung sieht sie keine Möglichkeit, durch bessere Arbeitsbedingungen Lehrer in Berlin zu halten und dann ausreichend qualifizierte LehrerInnen einstellen zu können: „Wir bekommen in den nächsten 5 Jahren 86.000 Schüler mehr in Berlin. Wir müssen auf Quereinsteiger zurückgreifen.“

Für die nächsten 12 Monate verspricht Kittler eine „ausreichende Ausstattung der Schulen mit Lehrern“, mehr Grundschullehrer und mehr Leitungsstellen. Konkreter wird sie noch nicht, der Haushalt 2018/19 werde derzeit geplant und ein Fünfjahresplan sei angedacht.

Quereinsteiger sollen fehlende Lehrer ersetzen

2009 arbeiteten in Berlins Schulen 10 Quereinsteiger, 2016 waren es 1061, Tendenz steigend. In ganz Berlin sind an Grundschulen durchschnittlich 9% Quereinsteiger, an drei Grundschulen sind es jedoch die Hälfte der Lehrer (mit eingerechnet die schulfremd an Grundschulen eingesetzten Studienräte). Robert Rauh fragt: „Gibt es eine Schmerzgrenze, wann nicht mehr Quereinsteiger eingestellt werden dürfen?“

Maja Lasić aus der SPD-Fraktion gibt zu, dass im Schuljahr 2016/17 ein Drittel aller neuen Lehrer Quereinsteiger waren.

Damit sind 9% aller derzeit unterrichtenden Lehrkräfte Quereinsteiger, und eine „Schmerzgrenze“ sei hier noch nicht erreicht. Lasić geht nicht davon aus, dass die Schulen realistisch Mentorenstellen für Quereinsteiger erhalten.

Mehr als ein Drittel der Quereinsteiger hat kein oder nur ein Schulfach, sie alle haben keine Pädagogik studiert. Rauh fragt: „Bisher wurden an den Berliner Unis keine zusätzlichen Studienplätze für das verpflichtende berufsbegleitende Studium des zweiten Faches für die Quereinsteiger eingerichtet. Wann kommt das?“

Dazu kann Frau Lasić nur auf die noch zu verhandelnden Hochschulverträge verweisen und verspricht, diese einrichten zu wollen.

Florian Bublys von Bildet Berlin! e.V. betont, dass es bei den Quereinsteigern offenbar weniger darum geht, diese Menschen zu qualifizieren, sondern vor allem darum, den Unterrichtsbedarf zu decken. Er erläutert den Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Lehrermangel. Ein Tarifvertrag, der auf Beamtenrecht fußt, in einem Bundesland, in dem in Zukunft verbeamtete Lehrkräfte in der Minderheit sind, ist unattraktiv: „Für uns angestellte Lehrkräfte gehört zur Attraktivität des Lehrberufs ein ordentlicher Tarifvertrag und keine Behandlung nach Dienstrecht, als wären wir Beamten light.“

Frau Kittler verspricht daraufhin, diese Ungerechtigkeit in den Lehrerzimmern zu ändern.

Im Durchschnitt fällt in Berlin 10% des Unterrichts aus

Rauh zitiert aus dem Koalitionsvertrag „Die Koalition wird einen entscheidenden Schritt gehen um Unterrichtsausfall zu reduzieren“ und erinnert daran, dass derzeit im Schnitt 10% des Unterrichts ausfallen, das macht hochgerechnet ein ganzes Schuljahr aus.

Die Vertreterin der GRÜNEN, Marianne Burkert-Eulitz greift Bublys’ Bitte an die Regierung auf, wenigstens den Unterrichtsausfall ehrlich zu erfassen und die Öffentlichkeit nicht mehr darüber zu täuschen, wann Unterricht bereits als vertreten, bzw. erteilt gilt. Auch Frau Lasić signalisiert Offenheit, die Angemessenheit der Vertretungskategorien zu überprüfen. Dass pro Schule mehr LehrerInnen eingestellt werden, um 10% Vertretungsreserve zu erreichen, sei jedoch derzeit „politisch nicht vorstellbar, da dazu 1000 Vollzeitlehrkräfte neu eingestellt werden müssten, die gar nicht bereitstehen“. 

Die Katze beißt sich in den Schwanz: Ungerechte Arbeitsbedingungen als Ursache für fehlende Lehrkräfte.

Von 31.000 LehrInnen arbeiten 18.084 LehrerInnen in Teilzeit. Während der letzten zwanzig Jahrenist die Arbeitszeit um 20% gestiegen. Wenn nur die Hälfte dieser Teilzeitkräfte aufgrund verbesserter Arbeitsbedingungen wieder voll arbeiten würden, dann könnte man auf einen Schlag 700 Lehrerstellen schaffen. Moderator Rauh bittet die Regierungskoalition, einige konkrete Maßnahmen in den nächsten zwei bis drei Jahren zu nennen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Regina Kittler (LINKE) verspricht ab Sommer 2017 mehr Geld für KonrektorInnen bereitzustellen. Innerhalb der nächsten 5 Jahre soll in großen Schulen je eine zusätzliche Verwaltungsleiterstelle geschaffen werden, 2-3 kleine Schulen teilen sich eine dieser Stellen. Zusätzlich werden ab Sommer 2017  IT-Stellen geschaffen. Zudem sagt sie:„Wir als LINKE unterstützen die 10% Vertretungsreserve, aber genauso wie die Stundenreduzierung werden wir sie in dieser Legislaturperiode nicht umsetzen.“

Im Fazit erkennen alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion an, dass die Arbeitsbelastung für Lehrer zu hoch ist, der Stundenausfall zu hoch, und außerdem trügerisch runtergerechnet wird. Alle sind sich einig, dass die Bezahlung von angestellten und verbeamteten KollegInnen ungerecht ist.

Ans Eingemachte, einen gerechten Tarifvertrag mit Arbeitszeitregelung, sowie das Rückgängigmachen der Arbeitszeiterhöhungen aus den vergangenen 20 Jahren, wagt sich die Regierungskoalition jedoch noch nicht ran.

Wir werden im September überprüfen, ob die Regierungskoalition ihre Versprechen zum neuen Schuljahr einhalten wird.

Offenbar wäre aber noch deutlich mehr Empörung und politischer Druck nötig, damit es auf der „Baustelle Berliner Schule“ vorwärtsgehen kann.





Für eine weitere Perspektive lesen Sie auch den Bericht zur Podiumsdiskussion und einen Kommentar einer Schülerin aus dem Mitteilungsblatt des Fördervereins des Robert-Blum-Gymnasiums blumpostille (Ausgabe 36, 2017).

erstellt am 13.01.2017, letzte Aktualisierung am 29.07.2017
 
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